Lachen als Weltsprache

Engagement
Überraschende Kaffeepause im hügeligen Südwesten Tansanias
Lena-Maria Weber & Patric Schönberg
03. November 2022

Tansania weckt mit wilden Tieren, endlosen Savannen und dem höchsten Berg Afrikas, dem Kilimanjaro, Sehnsüchte bei so manchen Reisenden. Vergessen geht dabei, dass schätzungsweise zehn Prozent der Bevölkerung unter körperlichen Beeinträchtigungen leiden. Taubheit ist ein weit verbreitetes Problem und wird in der tansanischen Gesellschaft noch immer stark marginalisiert. Ein Rückblick auf unseren Besuch in Iringa zeigt dir auf, wie der berührende Kontakt mit gehörlosen Menschen unser Tansania-Abenteuer nachhaltig bereichert hat.

Zweimal Cappuccino und dazu Blueberry-Muffins, schreiben wir etwas verdutzt auf den Zettel, welcher uns Kellner William mit einem breiten Lachen hinstreckt. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: William ist gehörlos. Dies trifft nicht nur auf ihn, sondern auf die meisten Mitarbeitenden im «Neema Crafts Center» und dem dazugehörigen «Neema Café» zu. Erst als William der Küche mittels Gebärdensprache zu verstehen gibt, was wir bestellt haben, geht uns langsam ein Licht auf. Kurze Zeit später ist William mit dem Bestellten zurück und wir bedanken uns, indem wir sein breites, ansteckendes Lachen erwidern. Wir haben eine anstrengende Busfahrt hinter uns und die letzten acht Stunden eingepfercht zwischen schreienden Kindern, gackernden Hühnern und staubiger Strassenluft verbracht. Die warmen, aufrichtigen Gesten von William sind Balsam auf unserer Seele und geben uns ein echtes Gefühl des Willkommenseins. Dazu braucht es keine Worte. Spontan beschliessen wir, der Magie dieses Ortes in den nächsten Tagen auf den Grund zu gehen.

Ein Platz der Güte

Das «Neema Café» ist Teil einer Institution, deren Herz eine Werkstatt bildet. Hier werden Tischlerwaren, Textilien und Papeterie Bedarf hergestellt. Weiter gehören ein Gasthaus, ein Shop, ein Online-Handel, eine Physiotherapie und das besagte Kaffee zum Konzept. Sämtliche Abteilungen haben einen gemeinsamen Nenner. Sie werden fast ausschliesslich von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung betrieben. Dies würde in der Schweiz kaum für Aufsehen sorgen. In Tansania jedoch ist körperliche Beeinträchtigung jeglicher Art immer noch ein grosses Tabuthema. Dies obwohl schätzungsweise zehn Prozent der Bevölkerung darunter leiden. Die Region Iringa gilt als besonders stark betroffen, insbesondere was Gehörlosigkeit anbelangt. «Neema» setzt sich seit 2003 dafür ein, dass diese Menschen selbstbestimmt durchs Leben gehen können und als das angesehen werden was sie sind: Vollwertige Mitglieder der Gesellschaft.

«In erster Linie geht es um unsere Produkte, wir sind ein selbst tragendes Unternehmen» stellt Co-Direktor Ben Ray klar. Er führt die Institution gemeinsam mit seiner Frau Katy. Dementsprechend soll «Neema Crafts» auch als Handwerkszentrum, nicht als Institution für Menschen mit Beeinträchtigung in Erinnerung bleiben. Der Kern des Problems in Tansania liegt darin, dass die Haltung gegenüber diesen Menschen verändert werden muss. Genau dies steht für Ben und Katy im Zentrum, wie er uns beim Besuch in den Werkstätten erklärt. Entsprechend sei es wichtig, dass wir auch versuchen, auf Augenhöhe mit den Angestellten zu kommunizieren. Dazu erhalten wir von ihm einen Crash-Kurs in Kiswahili und Gebärdensprache. Denn, die meisten der Beschäftigten sind gehörlos und sprechen kein Englisch.

Die Mitarbeitenden sind sichtlich stolz auf ihre Tätigkeiten. Chaula erklärt uns enthusiastisch, mit welcher Technik Kissenbezüge gewoben werden. Segio führt uns mit viel Liebe zum Detail ein Druckverfahren für Textilien vor. Und David zeigt, wie Holz zu kunstvollen Möbeln verarbeitet wird. Unsere Gebärdentechnik und die Übersetzungskünste von Ben reichen längst nicht immer aus. Und so hilft das warme Lachen, welches wir bereits von Kellner William kennen, Verständigungsbarrieren gegenseitig zu überbrücken.

Wir sind tief beeindruckt von der Aura, die die Räumlichkeiten umgibt. Es erscheint umso logischer, dass der Name «Neema» aus dem Kiswahili stammt und «Güte» bedeutet.

Die berührende Geschichte von Josephat

Das Schicksal körperlich beeinträchtigter Personen sowie die Rolle von «Neema Crafts» zeigt sich am Beispiel von Josephat. Geboren mit spina bifida (offenem Rücken) und taub hatte er einen schweren Start ins Leben. Da seine Eltern früh starben wurde er von entfernten Verwandten aufgezogen. Diese betrachteten ihn eher als Bürde, denn als zusätzlichen Sohn. Eine Situation, in welcher sich körperlich beeinträchtigte Menschen in Tansania leider oft vorfinden. Josephat wurde versteckt und mit einer abschätzigen Haltung behandelt. Niemand in der Familie konnte sich vorstellen, dass er jemals etwas anderes sein könnte als eine Belastung für das ohnehin schmale Budget.

Darüber, wie Jospehat 2003 dazu kam, bei «Neema Crafts» eine Arbeitsstelle zu erhalten, will er nicht sprechen. Er nennt es eine Fügung des Schicksals. Umso glücklicher erzählt er, was diese Stelle aus ihm gemacht hat. Das erste Mal im Leben erfuhr er Wertschätzung. Nicht aus Mitleid sondern aufgrund dessen, dass er derjenige war, der am geschicktesten Papier aus Elefantendung herstellen konnte. Die nachhaltige Papierproduktion steht am Anfang der Geschichte von «Neema Crafts» und Josephat ist ein Mitarbeitender der ersten Stunde. Sein Spitzname wandelte sich dank seiner Mitarbeitenden in wenigen Wochen von «der Buckelige» zu «der Geschickte». Josephats Selbstwertgefühl konnte sich in dieser Umgebung Schritt für Schritt entwickeln.

Heute, knapp zwanzig Jahre später, ist Josephat nicht nur einer der stolzen Pfeiler für die Ausbildung der nächsten Generation in der Werkstatt. Er ist ein glücklicher Familienvater, der seinen eigenen Lebensunterhalt verdient. Eine Geschichte, die beispielhaft aufzeigt, was es für diese Menschen bedeutet, Teil der Gesellschaft zu sein.

Gehörlose in Tansania

Josephat teilt sich sein Schicksal als Gehörloser mit zahlreichen Menschen in Tansania. Genaue Zahlen sind schwierig in Erfahrung zu bringen und die Dunkelziffern dürften hoch sein. Verlässliche Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass zwei Prozent der Bevölkerung taub sind. Damit ist Gehörlosigkeit eine der am häufigsten auftretenden körperlichen Beeinträchtigungen im Land. Oft kommt diese nicht alleine, sondern in Kombination mit anderen Behinderungen, wie das Beispiel von Josephat zeigt.

Über die Gründe für die hohe Anzahl an Gehörlosen in Ostafrika ist wenig bekannt. Gemäss Ben Ray wird über verschiedenste Ursachen gemutmasst. Die im Gebiet verbreiteten Meningitis-Erreger könnten ebenso der Grund sein wie starke Malariamedikamente. Schlussendlich seien eine Vielzahl der Fälle auch auf Kindsmissbrauch zurückzuführen. Insbesondere Gewalt ist noch immer stark verbreitet, gerade in den ländlichen und unterentwickelten Gebieten des Landes.

In den letzten Jahren hat das Engagement von privaten Organisation dazu beigetragen, dass das Thema der körperlichen Beeinträchtigung auch in Regierungskreisen ernst genommen wird. So sind Firmen mit fünfzig und mehr Angestellten dazu verpflichtet, auch körperlich beeinträchtigte Menschen einzustellen. Noch ist aber vieles Theorie und die Realität eine andere. Doch jeder, der offen und positiv über Tansanier wie Josephat oder William erzählt, trägt etwas dazu bei, dass sich deren Situation weiter verbessern kann. Davon sind Ben und seine Frau Katy felsenfest überzeugt.

Iringa und der Südwesten Tansanias

Du fragst dich vielleicht, wie wir überhaupt in einem Ort wie Iringa gelandet sind und uns der Zufall bei Kellner William zwei Cappuccino bestellen liess. Der Süden und Westen Tansanias gelten als Geheimtipp für eine Reise in das ostafrikanische Land. Hier finden sich zwar nicht die grossen Namen wie Kilimanjaro, Serengeti oder der Ngorngoro-Krater. Dafür bekommst du ganz viel Tansania für ein überschaubares Budget und ohne grosse Touristenmassen. Iringa ist eine grüne Stadt inmitten des Hochlandes, am Rande des African Rift Valleys. Ausflüge in die Kaffeeplantagen rund um Mbeya sind genau so möglich wie Safaris in den nahegelegenen Mikumi oder Ruaha Nationalparks. Letzterer beheimatet über zehn Prozent der gesamten afrikanischen Löwenpopulation und ist der Serengeti in Sachen Tierbeobachtungen mindestens ebenbürtig.

Nach drei aufregenden Tagen im Ruaha Nationalpark hatten wir genügend Tierbilder geknipst, um mehrere Alben zu füllen. Zum Sortieren der Schnappschüsse haben wir uns ein letztes Mal ins «Neema Café» gesetzt und bei William zwei Cappuccino bestellt. Unser Dankeslächeln konnten wir nun mit einigen Gesten in Gebärdensprache unterstreichen. Dies sehr zur Freude von William, dessen breites Grinsen uns für immer daran erinnern wird, dass Lachen eine Sprache darstellt, die alle Menschen verstehen.

Tipp 1: Neema Crafts Centre Guided Tour

Wenn du Iringa besuchst, solltest du unbedingt von einer kostenlosen Tour durch das Neema Crafts Center profitieren. Dazu einfach im Shop nach Ben fragen.

Tipp 2: Ruaha Nationalpark

Eine Safari im Ruaha Nationalpark ist ein Highlight. Die Population an Löwen, Leoparden und Geparden bietet hervorragende Chancen für unvergessliche Beobachtungen. Zahlreiche Agenturen vor Ort helfen bei der Planung. Eine gute Adresse ist das Team von Bateleur Safaris.

Tipp 3: Karibuni Sana!

Gerade im Süden und Westen von Tansania wird wenig Englisch gesprochen. Es hilft, sich ein paar Wörter in Kiswahili zu merken. So bist du auch mit Sicherheit willkommen, oder eben «karibuni sana».

Tipp 4: Mbeya – Iringa – Daressalam

Die Route eignet sich gut für Überlandreisen und um Tansania in all seinen Facetten zu verstehen. Strandhungrige können die Fährüberfahrt nach Sansibar anhängen und dort zusätzliche entspannte Tage verbringen.

Über den Autor und die Fotografin

Wir, Lena-Maria (28) und Patric (33), haben unseren Traum verwirklicht und reisen seit Juli 2022 für rund ein Jahr um die Welt. Dabei spüren wir Geschichten abseits der ausgetretenen Pfade auf und erzählen diese weiter – unter anderem gemeinsam mit Globetrotter. Wenn du möchtest, darfst du unser Abenteuer gerne via Instagram (@losnescos) hautnah mitverfolgen.

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