Ferien im Rollstuhl? Er weiss, wie das geht
Roland Bigler ist ein Globetrotter auf vier Rädern. Seine Erfahrungen gibt er als Experte für barrierefreies Reisen weiter.
Die Sommerferien auf Korsika veränderten sein Leben auf einen Schlag: Roland Bigler war
20 Jahre alt, vergnügte sich mit dem Bruder und zwei Kollegen am Meer. Die jungen Männer
sprinteten über den Sand ins Wasser. Bigler sprang kopfvoran in eine Welle. Der Zusammenstoss war so fatal, dass der Schlag in den Nacken den Berner zum Tetraplegiker machte.
Das Interview aus der SonntagsZeitung
Herr Bigler, es ist kaum zu glauben, dass so ein alltäglicher Köpfler solch gravierende Folgen haben kann.
Der Sprung war tatsächlich völlig unspektakulär. Ich bin einfach unglücklich in eine Welle getaucht und war nicht auf den Schlag vorbereitet. Ich habe schlicht Pech gehabt.
Seit über 30 Jahren sind Sie auf den Rollstuhl angewiesen. Was macht Ihnen am meisten zu schaffen?
Dass ich nicht selbstständig leben kann, ich brauche Hilfe beim Aufstehen und beim Zubettgehen. Den Pulli kann ich beispielsweise nicht selbst anziehen. Bei der kleinsten Schwelle muss mir jemand helfen, wenns runtergeht, kann ich nicht bremsen, bergauf komme ich nicht hoch.
Wie können Sie Ihren Körper noch bewegen?
Nicht viel, nicht einmal die Finger. Von der Brust an abwärts spüre ich nichts mehr. Meine einzigen Hilfsmittel sind Arme und Mund. Wenn ich zum Beispiel ein Glas in die Hand nehme, mache ich die Finger feucht, damit das Glas hält. Ich habe zwei Jahre geübt, geübt, geübt, damit ich als Rechtshänder nun links mit einem Kugelschreiber schreiben kann, langsam, aber immerhin. Am Computerhabe ich eine Ein-Finger-Technik entwickelt.
Wie sind Sie damals mit Ihrem Schicksal umgegangen?
Die Ärzte sagten schnell, dass ich nie mehr werde gehen können. In den ersten fünf, zehn Jahren gab ich die Hoffnung zwar nicht ganz auf, aber ich habe mich rasch arrangiert. Aufs Reisen zu verzichten, war nie Thema, «probieren wirs», ist meine Devise.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Reise im Rollstuhl?
Das war eine Gruppenreise nach Zypern, organisiert von der Paraplegiker-Vereinigung, zehn
Monate nach dem Unfall. Nach ein paar Tagen flog ich bereits wieder zurück – wieder mit der Rega. Die Ärzte sagten, ich solle viel trinken, nicht lang an die Sonne sitzen und Stützstrümpfe tragen, weil ich thrombosegefährdet bin. Ich trank zu wenig, sass an der Sonne, trug keine Strümpfe. Und bekam eine Thrombose. Wie dumm, wie naiv! Aber ich kannte meinen Körper einfach nicht gut genug.
Inzwischen haben Sie alle Kontinente bereist. Kürzlich waren Sie drei Wochen lang mit dem «Büssli» in Spanien und Portugal unterwegs. Können Sie denn selbstständig Auto fahren?
Ja, ich habe wieder geübt, geübt, geübt, bis es klappte. Der linke Arm steuert, der rechte Arm gibt Gas und bremst. Der Bus ist zwar sehr einfach eingerichtet, aber er ist besser als jedes Hotel. Ich liebe Roadtrips und Campieren. Ich bin jeweils zuständig für die Planung
der Route und fürs Fahren, meine Lebenspartnerin übernimmt den Rest.
Wie waren Sie unterwegs, bevor Sie Ihre Partnerin begleitet hat?
Früher habe ich mir Begleiter gesucht, meist Leute aus der Pflege. Ich habe einfach gefragt und erklärt, was das bedeutet, die ganzen Intimgeschichten und so. Im Rollstuhl zu hocken, ist das Einfachste, alles rundum ist schwierig. Viele Menschen in meiner Lage trauen sich jedoch nicht, um Hilfe zu fragen.
Wie sehen die klassischen Ferien von Rollstuhlfahrern aus?
Viele fühlen sich am wohlsten und sichersten in organisierten Reisen für Para- oder Tetraplegiker. Ich bin jedoch nicht gern in der Gruppe unterwegs. Mit mehr als zwei, drei Rollstuhlfahrern wird's kompliziert. Kommt dazu: Nur weil man im Rollstuhl sitzt, versteht man sich nicht automatisch gut. Und über gesundheitliche Probleme will man nicht immer reden.
Safari in Kenia oder Schnorcheln am Great Barrier Reef. Liest man Ihre Reiseberichte auf globetrotter.ch, bekommt man den Eindruck, auch mit Rollstuhl sei alles möglich. Stimmt das tatsächlich?
Vieles ist möglich. Rollstuhlfahrer waren sogar auf dem Kilimandscharo, weil sie sich hochtragen liessen. Das käme für mich nicht infrage, ich will so selbstständig sein wie möglich, nicht zu sehr zur Last fallen. Trekking in den Bergen ist nun mal nicht möglich, das ist wohl der grösste Verzicht.
Haben Sie schon etwas ausprobiert, das Sie besser gelassen hätten?
Ich war mal mit zwei anderen Rollstuhlfahrern in Israel. Im Reisebüro hat man uns einen
Ausflug in einem U-Boot empfohlen. Man liess uns wie Kartoffelsäcke durch die enge Luke zwei Meter in die Tiefe. Wir sassen dann drei Stunden da unten, bis man uns wieder hochzog. Das war keine gute Idee.
Seit 2014 geben Sie Ihre Erfahrungen als Globetrotter-Berater für barrierefreies Reisen weiter. Wer nimmt Ihre «Beratung auf Augenhöhe» in Anspruch?
Die Mehrheit sind Rollstuhlfahrer zwischen 30 und 60 Jahren. Die meisten kommen in Begleitung des Partners oder der Partnerin. Kürzlich organisierte ich einen Städtetrip nach London für eine Familie mit einem Kind im Rollstuhl. Oder eine Hochzeitsreise nach Kenia.
Wie anspruchsvoll ist die Planung einer Reise mit Rollstuhl?
Jedes Detail muss im Voraus abgeklärt und gebucht werden. Es beginnt bereits beim Zugang zum Hotel, es darf keine Treppe haben. Und das Hotel muss über einen Lift verfügen, der gross genug für den Rollstuhl ist. Es kam vor, dass ich ein Hotel mit Lift
gebucht habe, aber dass vor dem Lift drei Treppenstufen waren, hat niemand erwähnt.
Worauf gilt es beim Zimmer zu achten?
Das Bett darf weder zu hoch noch zu tief sein. Ich weiss von Rollstuhlfahrern, die jeweils Klötzli dabei haben, um das Bett anzuheben. Ein Badezimmer muss so gross sein, dass ein Rollstuhl neben dem WC Platz hat. An der Wand braucht es Griffe. Die Dusche muss befahrbar sein. Die Erreichbarkeit des Restaurants ist ebenfalls wichtig. Oft habe ich
erlebt, dass das Zimmer im Erdgeschoss liegt, das Restaurant aber im ersten Stock, ohne Lift.
Was raten Sie einem Rollstuhlfahrer, der noch nie auf eigene Faust im Ausland war?
Ich würde eine Städtereise mit dem Zug empfehlen, möglichst ohne umzusteigen. Zum Beispiel nach Wien, Berlin oder Hamburg.
Welche Länder eignen sich für Reisen im Rollstuhl?
Die USA sind sehr gefragt, das Gefühl von Freiheit lässt sich da auch für Rollstuhlfahrer besonders gut erleben. Neben den USA sind Kanada, Australien und Neuseeland von der Infrastruktur her sehr fortgeschritten. Vancouver ist in meinen Augen die rollstuhlfreundlichste Stadt überhaupt.
Welche Länder waren eine besondere Herausforderung?
Ich war einmal drei Wochen lang im Tschad, definitiv kein Land für Rollstuhlfahrer, sämtliche
Strassen sind aus Sand. Meine Partnerin war gefordert wie nie, allein wäre ich keinen Meter weit gekommen.
Von welchen Ländern raten Sie ab?
Ich rate von nichts ab. Generell gilt: Die Menschen machen den Unterschied, sie sind es, die einen Ort rollstuhlgängig machen oder nicht. Sowohl in Kenia wie auf Fidschi hatte ich wunderbare Erlebnisse: Vor meinem Bungalowbefand sich ein Absatz. Die Angestellten bauten eine kleine Rampe, sodass ich selbstständig rein und raus konnte.
Wo haben Sie die Menschen als besonders hilfsbereit empfunden?
Die Australier fand ich extrem aufmerksam. Do you need a hand, mate? Diesen Satz habe ich so oft gehört – auch von Australiern im Ausland. Aber hilfsbereite Menschen habe ich eigentlich überall angetroffen. Freundlich zu sein und ein paar Brocken in der einheimischen Sprache zu können, ist immer hilfreich.
Haben Sie auch Diskriminierung erlebt?
In Restaurants überall auf der Welt habe ich erlebt, dass man die Speisekarte einzig meiner
Begleitung reichte. Im Sinne von: Der kann doch nicht selbst bestellen. Und natürlich bin ich in vielen Ländern eine Attraktion, das ist nicht immer angenehm.
Das Globetrotter-Angebot für barrierefreies Reisen besteht seit acht Jahren. Wie intensiv
wird es genutzt?
Es ist natürlich ein Nischenmarkt, aber einer mit Zukunft. Denn Angebote, die auf Rollstuhlfahrer zugeschnitten sind, eignen sich auch für ältere Menschen, die nicht mehr gut zu Fuss sind, aber dennoch etwas von der Welt sehen wollen.
Autorin: Chris Winteler | SonntagsZeitung
Über mich
Beim Reisen erlebe ich «ein unglaubliches Gefühl von Freiheit», und offenen Herzen und Hilfsbereitschaft begegne ich auf allen Kontinenten. Ich – der seit einem Badeunfall mit zwanzig Jahren als Tetraplegiker mit dem Rollstuhl unterwegs bin – bin überzeugt, dass mit meinen Reisen in fremde Kulturen Hemmschwellen gegenüber Menschen mit einer Behinderung abgebaut werden und sich dadurch nach und nach in vielen Bereichen auch die Infrastruktur verbessern wird. Barrierefreies Reisen ist meine Vision. Als «ewiger Optimist», für den Aufgeben nie eine Option ist und der das Dasein als schöne Herausforderung versteht, lebe ich diese Vision kompromisslos vor.
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