Die starken Frauen der Hmong

Reisetipps
Zu Besuch bei einer Familie im Bergland zwischen Vietnam und China
Lena-Maria Weber & Patric Schönberg
27. März 2023
Zhou

Zhou

Lao Chai

Stolz erzählt uns Giang davon, wie sie allein durch das Zuhören bei Reisenden Englisch gelernt hat. Das Beherrschen der Weltsprache hat es der jungen Frau vom Volk der Hmong erst ermöglicht, am touristischen Aufschwung im Norden Vietnams teilzuhaben. Wir haben Giangs Familie in einem Weiler hoch über den Reisfeldern von Lao Chai besucht und hinter die Kulissen des Lebens der Hmong geblickt.

Sa Pa war vor nicht allzu langer Zeit ein idyllisches Bergdorf an der vietnamesisch-chinesischen Grenze. Die Vermarktung des Berges Fansipan als «Dach Indochinas» lockt jedoch seit einigen Jahren eine bunte Schar von Touristen in die luftigen Höhen des vietnamesischen Hochlandes. Ein Grossteil lässt sich von der brandneuen Gondelbahn auf den Gipfel karren oder bucht eine Pauschal-Trekkingtour durch die Reisfelder der nahen Täler. Leidtragende dieser Entwicklung sind die Hmong-Völker, welche die Seitentäler Sa Pas seit Generationen als Reisbauern bewohnen. In ärmsten Verhältnissen lebend, wird diese Volksgruppe von der Regierung weitestgehend ignoriert und hat kaum Chancen am ökonomischen Aufschwung teilzuhaben. Hier beginnt die Geschichte von Giang, einer jungen Hmong-Frau, welche ihr Schicksal selbst in die Hand genommen hat.

Lao Chai Tal

Die Familie zieht an einem Strang

Auf Giang und ihr kleines Unternehmen stossen wir durch Zufall. Wir verbringen Tage damit eine lokale Reiseleitung zu finden, um die Region rund um Sa Pa und vor allem die Kultur der Hmong aus erster Hand kennenzulernen. Dank eines Online-Reiseberichtes finden wir eine Empfehlung für Giang und nehmen per WhatsApp-Kontakt mit ihr auf. Sofort merken wir, hier sind wir an der richtigen Adresse. Die Kommunikation verläuft zwar etwas hölzern, dafür wunderbar authentisch und ehrlich. Wir verabreden uns für einen Besuch bei Giang und ihrer Familie auf dem kleinen Hof hoch über dem Tal von Lao Chai. Unser Ziel ist es, einen Einblick in die Lebensweise des Hmong-Volkes zu erhalten. Die Hmong sind eine ursprünglich südchinesische Volksgruppe ohne eigenen Staat. Ein Grossteil lebt im hügeligen Land auf beiden Seiten der vietnamesisch-chinesischen Grenze.

Obwohl Giang im neunten Monat schwanger ist und die Geburt ihres Kindes unmittelbar bevorsteht scheut sie sich nicht, die Tour für uns zu organisieren. Nur abholen in Sa Pa könne sie uns verständlicherweise nicht. Der mehrstündige Marsch zurück zum elterlichen Hof sei aktuell zu anstrengend. Als Ersatz schickt sie ihre Schwägerin Zhou, welche uns Frühmorgens mit breitem Lachen und traditioneller Kopfbedeckung vor unserer Herberge in Sa Pa erwartet. Sie überbringt uns auch gleich die Nachricht, dass Giang vergangene Nacht Mutter geworden sei. Zhou hat mit ihren 28 Jahren selbst bereits drei Kinder. Sicheren Schrittes führt sie uns durch dichten Nebel und steile Reis-Terrassen auf den Talgrund von Lao Chai. Zhou ist sichtlich stolz darauf, dass sie ihrer Schwägerin eine Hilfe in deren Geschäft sein kann. Es sei schön, dass die ganze Familie von den Zusatzeinnahmen profitiert, meint sie in gutem Englisch. Dadurch wird der nächsten Generation die dringend benötigte Schulbildung ermöglicht. Gleichzeitig sei es wichtig, dass interessierte Touristen die wahre Kultur und das echte Brauchtum der Hmong kennenlernen können, damit diese als Volksgruppe nicht in Vergessenheit geraten. So sei es für die ganze Familie denn auch selbstverständlich, die Idee von Giang zu unterstützen und Menschen aus der Ferne einen Einblick ins Alltagsleben zu gewähren, bekräftigt Zhou, die auf dem kleinen Hof der Schwiegereltern lebt.

Hof der Familie

Der kühne Traum einer jungen Frau

Die Ursprünge des unkonventionellen Familienunternehmens liegen einige Jahre zurück. Der Cleverness, der Beharrlichkeit sowie dem Mut Giangs ist es zu verdanken, dass die Familie heute ohne korrupte Vermittler diese authentische Art von Touren anbieten kann. Giang wird als jüngstes von sieben Kindern einer Reisbauernfamilie geboren. Im Alter von zehn Jahren verkauft sie traditionellen Hmong-Schmuck an Trekkingtouristen in der Umgebung Sa Pas. Durch Gespräche mit Leuten aus aller Welt lernt Giang so gut Englisch, dass die mit vierzehn von einer grösseren Trekking-Agentur in Sa Pa als Hilfs-Guide angeheuert wird. Um näher beim Geschehen zu sein, zieht Giang noch im Alter von vierzehn nach Sa Pa und arbeitet für verschiedene Anbieter und Hotels als Guide. Dabei entwickelt sie den Drang, ein eigenes Unternehmen auf die Beine stellen zu wollen, damit sie mit dem verdienten Geld auch ihre Familie auf dem Hof unterstützen kann.

Im Jahr 2018 erfolgt dann eine schicksalhafte Begegnung. Auf einer Trekking-Tour lernt Giang die Engländerin und Kommunikationsspezialistin Katie kennen. Dieser erzählt sie vom grossen Traum einer eigenen Unternehmung. Katie ist begeistert vom Tatendrang der jungen Frau und erstellt die einfache und übersichtliche Website «Sapa Tribal Trekking», welche Giang als Anbieterin für Erlebnisse rund um das Hmong-Volk positioniert. Da Giang über keinen Computer, aber über ein Handy mit Internetzugang verfügt, beschliessen die beiden, dass die Kommunikation mit Kunden ausschliesslich über WhatsApp erfolgen soll. Damit ist der Grundstein für das Unterfangen gelegt. Damit aber nicht bloss Tagestouren, sondern auch Übernachtungen im Kreise der Familie angeboten werden können, braucht es noch etwas Initiative. Die Regierung schreibt nämlich vor, dass Übernachtungen nur dann angeboten werden dürfen, wenn separate Schlafräume und Toiletten mit Wasserspülung vorhanden sind. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so wird keine Lizenz erteilt. Da für illegal angebotene Touren hohe Strafen drohen, ist dies keine Option. Giang überzeugt ihre Familie im Elternhaus sowohl ein separates Zimmer als auch eine Toilette mit fliessendem Wasser einzurichten. So ist ein junges Unternehmen geboren, welches authentischen Zugang zur Kultur der Hmong sowie zur faszinierenden Landschaft in den Tälern und Wälder rund um Sa Pa bietet.

Innenraum

Innenraum

Hof der Familie

Ein Neujahrsfest der besonderen Art

Kommen wir zurück zu unserem Abenteuer. Nach einem strengen Tagesmarsch führt uns Zhou die letzte Anhöhe zum kleinen Weiler hinauf, in welchem das Elternhaus von Giang steht. Das Wetter ist mittlerweile nasskalt und gruselig. Aus dem grossen Innenraum des Hauses hören wir schon von draussen laute Stimmen. Bevor wir Eintreten informiert uns Zhou mit einem Lächeln, dass drinnen das chinesische Neujahrsfest in vollem Gange sei. Und tatsächlich, um einen grossen Tisch versammelt sitzen Giangs Eltern, einige von Giangs Brüdern sowie Freunde aus dem Nachbardorf. Einzig der jüngste Bruder, der Ehemann unserer Begleiterin Zhou, hat sich bereits zum Nachmittagsschlaf verabschiedet. Spätestens nach dem ersten Glas des selbst gebrauten Reisschnapses, welches uns zur Begrüssung angeboten wird, wissen wir auch wieso.

Wir werden eingeladen uns an den Tisch zu setzen und am Festessen teilzuhaben. Traditionsgemäss wurde zur Neujahrsfeier ein Schwein geschlachtet. Sämtliche Teile des Tieres werden verwertet und als Speisen serviert. Für uns ungewöhnlich, für die Hmong so normal wie für uns das Fondue Chinoise am Silvesterabend. Rundum werden Sprüche geklopft und am Reisschnaps genippt. Dieser spendet, neben dem kleinen Feuer in der Ecke, die notwendige Wärme im kühlen Raum, welcher Spiel-, Ess- und Wohnzimmer, Küche, Schlachtbank und Heizung in einem darstellt. Einzig drei kleine Schlafzimmer und eine Toilette sind durch dünne Wände vom Hauptraum abgegrenzt. Während Zhou ihren jüngsten Sohn umsorgt, fungiert sie parallel als Übersetzerin für unsere Gespräche mit den anderen Familienangehörigen. So geht der späte Nachmittag nahtlos in den Abend über. Schritt für Schritt verabschieden sich die Feierwütigen, sodass wir etwas später bloss noch im Kreise der Familie sitzen.

Zhou erklärt uns, dass Fleisch bloss an ganz speziellen Tagen gegessen wird. Und das chinesische Neujahrsfest sei für die Hmong der höchste Feiertag im Jahr. Daher gibt es, quasi als Dessert, ein über dem Feuer geröstetes Huhn. Zum Glück mangelt es nicht an Reis und Spinat als Beilage, sodass wir das Huhn gänzlich der Familie überlassen können. Für die Männer der Familie ist nun bald Schlafenszeit. Dick eingepackt in unsere Daunenjacken sitzen wir noch eine Zeitlang mit Zhou, einer ihrer Schwägerinnen sowie der Mutter von Giang um den Tisch und versuchen zu erzählen, wie sich die Welt bei uns in der Schweiz dreht. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie unterschiedlich unser wohlbehaltenes Leben von dem der Familie hier hoch über dem Tal von Lao Chai verläuft. Der Herzlichkeit und Wärme, die uns gegenüber ausgestrahlt wird, tut diese Differenz jedoch überhaupt keinen Abbruch.

Wir sind froh, kriegen wir für die kalte Nacht zwei dicke Wolldecken. So schlafen wir, überwältigt von den Eindrücken, rasch tief und fest ein. Als wir in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages aufstehen, herrscht in der Küche bereits Betrieb. Die Frauen kochen gemeinsam eine kräftige Hühnersuppe über dem offenen Feuer. Schliesslich soll es am Tag nach der Feier niemandem an einem herzhaften Frühstück fehlen. Begleitet vom Duft und Rauch zahlreicher Räucherstäbchen spricht der Vater und Familienvorsteher dann einen Segen für die Familie und uns als willkommene Gäste. Eine Geste, welche uns tief berührt. Danach nehmen wir Abschied von der ganzen Familie. Zurück bleiben viele Erinnerungen und ein Einblick in eine Lebensweise, welche so fern von unserem Alltag ist, dass Worte nur annähernd ausreichen, um das Erlebte zu beschreiben.

Neujahrsfest

Neujahrsfest

Der schmale Grat zwischen Tourismuswirtschaft und regionaler Ausbeutung

Der Bericht wäre nicht abschliessend, ohne ein paar Worte über Sa Pa und die regionalen Entwicklungen zu verlieren. Quasi von heute auf morgen hat hier der Massentourismus Einzug gehalten. Die Folgen sind drastisch und lassen uns mit zwiespältigen Gedanken zurück. Ohne Gesamtkonzept poppen Hotels, Resorts und Residenzen dank Investment-Konsortien aus dem Boden und verunglimpfen das pittoreske Landschaftsbild. Direktbusse aus Hanoi karren rauchausstossend Touristen für einen Kurzabstecher in die Höhe. Unter Rucksackreisenden herrscht Einigkeit: Wer die «echte Bergwelt» Vietnams erleben will, der fährt nach Ha Giang. Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Denn die einmalige Natur und die traditionelle Landwirtschaft stellen noch immer in echtes Highlight dar. Die zunehmende Pauschalisierung der Region gefährdet auch das Unterfangen von Giang und deren Familie. Diese ist darauf angewiesen, dass weiterhin Leute die Region besuchen, welche nicht nur mit der Gondelbahn auf den Berg gebracht werden wollen, sondern die Region, die Bräuche und die Lebensweise der Hmong-Leute aus erster Hand kennenlernen wollen.

Tipp 1: eVisa frühzeitig beantragen

Visa-on-arrival sind für Schweizer Einreisende aktuell nicht mehr verfügbar. Wenn du nicht wie wir deinen Flug kurzfristig um eine Woche verschieben will, beantragt das eVisa für Vietnam besser frühzeitig und online beim zuständigen Immigration Department oder bei Globetrotter Visa Service.

Tipp 2: Bei Giang direkt eine unvergessliche Tour buchen

Giang kann problemlos direkt kontaktiert werden. Alle Details und Kontaktdaten findest du unter Sapa Tribal Trekking.

Tipp 3: Kein Vietnam ohne Pho und Banh Mi

Die Gerichte der Hmong sind für uns doch eher gewöhnungsbedürftig. Doch die vietnamesische Küche bietet mit Spezialitäten wie Pho, Banh Mi sowie frischen Frühlingsrollen einige Höhepunkte. Dabei kommen auch Vegetarier ganz bestimmt auf ihre Kosten.

Hof der Familie

Über den Autor und die Fotografin

Wir, Lena-Maria (28) und Patric (33), haben unseren Traum verwirklicht und reisen seit Juli 2022 für rund ein Jahr um die Welt. Dabei spüren wir Geschichten abseits der ausgetretenen Pfade auf und erzählen diese weiter – unter anderem gemeinsam mit Globetrotter. Wenn du möchtest, darfst du unser Abenteuer gerne via Instagram (@losnescos) hautnah mitverfolgen.

Beste Reisezeit

Legende:
Beste Reisezeit
Geeignete Jahreszeit
Weniger geeignete Reisezeit
Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Vietnam x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x
Norden x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x
Zentrum x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x
Süden x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x

Die beste Reisezeit für Vietnam ist von Dezember bis April. Das Land erstreckt sich über mehrere Wetter- und Klimaregionen. Die spezifischen Empfehlungen für die Regionen haben wir in den ausführlichen Länderinfos zusammengestellt.

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